Zeichnungen und Sonette, 1992/93
Anfang der 90er Jahre schrieb ich ein knappes Dutzend Gedichte, die in diversen Fanzines veröffentlicht wurden, meistens zusammen mit je einer Illustration. Die Texte sind weniger persönliche Gefühlsäußerungen als kalkulierte Fingerübungen unter dem Motto: Wie baue ich (z.B.) ein Sonett – in Anlehnung an den Symbolismus der Zeit um 1900 und mit dem entsprechenden Mut zum düsterem Kitsch.
Nebelgleich dem Grund entstiegen
dunklen Quellen, nie benannt,
wie ein Bild von fremder Hand.
Nacht im Kopf. Ein Traum vom Fliegen.
Dunkelheit, zur Form geronnen,
schwingenschlagend, ungezähmt
(Widerstand vom Schlaf gelähmt),
kostet Freiheit, neu gewonnen.
Längst verlassen ist der enge
Käfig, knöchernes Gestänge
bleibt zurück, an Geistes statt;
ohne Leben, das gefangen
ihn beseelte, ist vergangen,
was vom Tod getrennt ihn hat.
Blut
Hinter bleichen Mauern, fest und scheinbar fugenlos gebaut,
pocht pulsierend Leben in verzweigten Bahnen;
rote Glut, in Weiß gehüllt und nur zu ahnen,
dringt durch alle Poren. Sanftes Glühen makelloser Haut.
Unsichtbare Lockung aus des Fleisches Tiefe, warm und schwer,
dringt an Licht und lässt den Vorbehalt vergessen,
weckt die Gier und macht besinnungslos besessen;
dumpfer Trieb erhebt sich, überflutet jede Gegenwehr.
Ihre Muskeln, Sehnen straff gespannt und Seilen gleich,
voll Erwartung; festes Fleisch, wie schneebedeckt, so weich,
dargeboten, wartend auf den dunklen Kuss, den letzten.
Zärtlich wird die bleiche Wand durchstoßen, und der Quell
bahnt sich neue Wege, frei geworden, wild und schnell,
über meine Lippen, die vom Lebensfluss benetzten.